Brief an Mathias Döpfner
Sehr geehrter Herr Döpfner,
die Präambel unseres Grundgesetz berührt auch 76 Jahre nach seiner Abfassung, weil sie so fein ausbalanciert ist auf dem Punkt, in dem sich große Kraft und große Zerbrechlichkeit treffen. Als Antwort auf den Hitler-Faschismus, den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust ist sie Utopie und Richtschnur alltäglichen Handelns, Vision und Appell. Damit ist sie kein Stück veraltet, im Gegenteil: Vielleicht ist sie das aktuellste geschriebene Wort, das wir haben angesichts der Erfolge der vermeintlichen Alternative für Deutschland (AfD) und der Eskalation der Klimakatastophe: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Ihnen als Verleger liegt Aktualität naturgemäß am Herzen, ihr Redaktionsstatut unterstreicht die Bedeutung verantwortungsvollen Journalismus. Deshalb wenden wir uns an Sie.
Wir nehmen wahr, dass die Berichterstattung der Bild-Zeitung größtenteils aus Negativschlagzeilen besteht, die die Verfehlungen anderer Menschen herauskehren und Emotionen wie Angst, Neid und Wut in der Leserschaft wecken.
In einer Zeit medialer Dauerbeschallung beobachten wir, dass dies einen Vertrauensverlust zwischen uns Menschen bewirkt, mit Blick auf unsere Regierung und vor allem in Bezug auf Menschen mit Migrationsgeschichte.
Von allen im Bundestag vertretenen Parteien ist es vor allem die AfD, die auf diese Emotionen und Themen setzt, sie verstärkt und damit ihrem – durch den Bundesverfassungsschutz berichteten – Ziel näherkommt: der Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die AfD hält die Würde des Menschen nicht für unantastbar. Im Gegenteil, sie plant eine Politik der „wohltemperierten Grausamkeit“, bezieht sich positiv auf die einstigen Verbrechen der Schutzstaffel und strebt die Vertreibung von Millionen von Menschen an. Ihnen, Herr Döpfner, bereitet das Sorgen, wie Sie in Ihrem Meinungsbeitrag „Vor dem Donnerschlag“ vom 14. Januar 2025 schreiben.
Darüber möchten wir mit Ihnen ins Gespräch kommen.
Ihr Redaktionsstatut unterstreicht die Wichtigkeit journalistischer Unabhängigkeit. Auf dem Primat der Wissenschaftlichkeit und der Tradition der Aufklärung ruhend, stützt sie den gesellschaftlichen Diskurs, denn sie garantiert die Richtigkeit der Information und die Wahrhaftigkeit der Berichterstattung. Gehen die verloren, erodiert das gesellschaftliche Vertrauen weiter.
In der Vergangenheit sind Zweifel an der Unabhängigkeit der Redaktionen des Springer-Verlags aufgekommen. So ist da Ihre SMS an den damaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt: „Please Stärke die FDP. Wenn die sehr stark sind können sie in Ampel so autoritär auftreten dass die platzt [sic].“
Darüber hinaus besteht der Verdacht, dass die globale Investmentgesellschaft Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR) auf Ihre Berichterstattung Einfluss genommen hat.
KKR investierte (und investiert bis heute) umfangreich in fossile Energieträger und hielt (und hält bis heute) Beteiligungen in Milliardenhöhe unter anderem an LNG-Terminals, während die Berichterstattung der Springer-Redaktionen stark das sogenannte „Heizunggesetz“ des ehemaligen Wirtschafts- und Klimaministers Robert Habeck kritisierte.
Auch Fragen nach persönlichen Interessenkonflikten Ihrerseits stehen im Raum. Friede Springer hat Ihnen Unternehmensanteile in Höhe von einer Milliarde Euro geschenkt. Rund um diesen Prozess kam es zu dem Vorwurf, dass Sie Steuerschlupflöcher genutzt hätten, um Ihre Abgaben möglichst gering zu halten. Gleichzeitig setzen Ihre Redaktionen sich in Artikeln und Meinungsbeiträgen immer wieder dafür ein, die Steuern auf hohe Vermögen und Einkommen zu senken.
In Summe befürchten wir, dass dieses Verhalten unsere Gesellschaft spaltet, den Kampf gegen die Klimakatastrophe hemmt und zu weniger Verteilungsgerechtigkeit führt.
Kurz vor dem 76. Geburtstag unserer Bundesrepublik stellen wir fest, dass viele Gewohnheiten, Prozesse und gesellschaftliche Abläufe sich eingeschliffen haben. Wir empfinden friedlichen zivilen Ungehorsam als geeignetes Mittel, um diesen vermeintlich normalen Lauf der Dinge zu unterbrechen, wenn dieser Lauf der Dinge nicht mehr normal ist, sondern im Gegenteil in die drohende Katastrophe führt. Wir greifen auf diese Protestform zurück, um zum Innehalten und Zusammenkommen einzuladen, um die gegebenen Strukturen und Systeme gemeinsam zu reflektieren und zu verbessern.
Ab dem 2. Juni 2025 wenden wir uns mit den Aktionen unserer Widerstandswelle an Sie und Ihre Mitarbeitenden – in dem Wissen, dass wir in vielen Punkten unterschiedliche Positionen haben, aber die anstehenden Probleme nur gemeinsam werden lösen können. Lassen Sie uns streiten, konstruktiv streiten, in dem Wissen, dass die Welt doch so viel besser sein könnte.
Mit freundlichen Grüßen
Raphael Thelen
für die Neue Generation